Montag, 21. Januar 2013

Positive Psychologie und Strafrecht


Eine der neueren Strömungen in der Welt der Psychologie - etwa seit dem Jahr 2000 - ist die vom US-Psychologen Martin Seligmann begründete, so genannte "Positive Psychologie".

Deren Grundgedanke ist, nicht ausschließlich an Defiziten des Menschen zu arbeiten und sie zu therapieren, um ihm damit ein "unbeschwertes" Leben zu ermöglichen, sondern seine Stärken zu erforschen, zu fördern und ihm damit Instrumente an die Hand zu geben, die ihn stärken und sein Leben lebenswerter machen als durch Verminderung (oder "Heilung") von Mängeln.

Stichworte des Ansatzes der Positiven Psychologie sind

- psychischer Aufbau statt Reparatur
- Fördern von Wohlbefinden und Glück statt Minderung von Leiden

Wie macht sie das? Die Positive Psychologie wechselt die Perspektive. Sie stellt psychologische Gegenstände wie Vertrauen, Geborgenheit, Glück, Vertrauen, Optimismus, Verzeihen und Solidarität in den (Forschungs- und Wirkens-) Vordergrund. Dies sind kulturell weltweit "positive", erstebenswerte Zustände. Sie definiert Chraktereigenschaften, anhand derer es leichter sein soll, diese Zustände zu erreichen und fördert diese Eigenschaften beim Individuum. 

Der perspektivische Ansatz der Positiven Psychologie ist selbstverständlich umstritten. Angenommen, der Ansatz wäre aber richtig, könnte er eine Bedeutung erlangen, die über das Individuum hinausgeht - nämlich eine System übergreifende, sogar gesamzgesellschaftliche Dimension. Sie könnte nicht nur auf einzelne Personen angewendet werden, sondern auch auf andere Organisationsformen des menschlichen (Zusammen-) Lebens wie zum Beispiel Partnerschaft, Familie und Unternehmen, darüber hinaus auch auf Politik und Gesellschaft. Und innerhalb der Gesellschaft - so meine Auffassung als Volljurist - auch auf das Rechtssystem, insbesondere auf das "bestrafende" Rechtssystem: Das Strafrecht und das Strafvollzugsrecht.

Strafrecht und Strafvollzugsrecht stellen das wichtigste staatliche Instrumentarium dar, um gesellschaftlich erwünschtes Handeln zu fördern und gesellschaftlich unerwünschtes Handeln zu verhindern - durch Strafe und deren Vollziehung.

Das Strafrecht gibt vor, welches Handeln gesellschaftlich "defizitär" ist und bestraft es mit einer bestimmten Folge (in Deutschland Geld- oder Freiheitsstrafe); mit den Mitteln des Strafvollzuges wird die erkannte Strafe durchgesetzt und vollzogen.

Ziel des Strafrechts ist es, den einzelnen (und die Gesamtheit) vor der Begehung von Straftaten, auch weiterer) abzuschrecken und den Opfern Genugtuung für begangenes Unrecht zu verschaffen, Ziel des Strafvollzuges ist, den zu Bestrafenden gleichzeitig zu bestrafen und zu resozialisieren un damit wieder nahtlos in die Gesellschaft einzugliedern.

Es ist bekannt, dass diese Ziele mit den vorhandenen Mitteln nicht erreicht werden und zudem sehr kostspielig sind.

Die Ansätze der Positiven Psychologie vorausgesetzt, wäre das gesetzgeberische Ziel nicht anders, nur aus einem anderen Blickwinkel betrachtet: Die Zahl der "Nichtstraftäter" zu erhöhen und dem Einzelnen (bzw. dr Gesamtheit aller Einzelnen) nicht Abschreckung vor Straftatbegehung zu vermitteln, sondern den Anreiz zu erhöhen, nicht straffällig zu werden. Also nicht Bestrafung der Gesetzbruches", sondern Belohnung der "Gesetzestreue". 

Konsequent gedacht bedeutete dies, dass eine Stärkung des Individuen zum "Nicht-straffällig-werden", möglicherweise durch ein Belohnungssystem für Nichtstraftäter (Belohnungsstrafrecht) sinnvoller ist als das vorhandene Bestrafungssystem durch Abschreckung, Bestrafung und (defizitäre) Resozialisierung (Bestrafungsstrafrecht). Dies Alles nach Möglichkeit Kosten frei, zumindest aber Kosten neutral, ohne entstehende Mehrkosten.

Wie könnte eine Stärkung der Bereitschaft, keine Straftaten zu begehen, wie könnte ein solches Belohnungssystem aussehen und: Würde es von der Bevölkerung angenommen?

Auf die erste Frage lässt sich derzeit noch keine Antwort geben. Es müsste nach meiner Auffassung, um wirken zu können, zunächst gleichzeitig individuelle Anreize bieten, gleichzeitig aber gesellschaftliche Vorteile für den Einzelnen Nicht-Straftäter bieten. Vielleicht kann dies in der Eröffnung von konkreten individuell erwünschten Bildungs- oder Fortbildungsmöglichkeiten (Beruf, Interessengebite, Musik, bildende Künste, Fertig- und Fähigkeiten), in der Eröffnung von Wegen zur persönlichen Fortentwicklung (körperlich, seelisch, emotional oder psychisch) und damit gleichzeitig zugunsten einer positiven gesellschaftlichen Entwicklung geschehen. Denkbar wäre auch eine Belohnung nach Art eines Punkte-Bonussystems, das sich als "weiteres Standbein" zu dem System der individuellen Alterbezügen gesellt, oder die Gewährung von schlichten finanziellen Vorteilen, ähnlich der Gewährung von Kindergeld.

Hinsichtlich der zweiten Frage sei - als kleines Beispiel - auf die Genugtuung und den Stolz verwiesen, die viele Menschen verspüren, wenn sie für 25 oder gar mehr Jahre "unfallfreies Autofahren" eine simple Urkunde erhalten, als gesellschaftliche Anerkennung. Allein diese Urkunde ist Ihnen jahrelanges Bemühen wert - wohl wissend, dass "unfallfreies Fahren" nicht allein von ihrem Verhalten abhängt, sondern ebenso von all den anderen Verkehrsteilnehmern, die ihnen begegnen.

Aus meiner Sicht spricht auch nichts dagegen, kumulativ das zurzeit bestehende Bestrafungsstrafrecht und das neue Belohnungsstrafrecht für all jene beizubehalten, die sich nicht anreizen lassen oder anreizen lassen möchten, gesetzestreu zu bleiben und damit nicht straffällig zu werden. Dies Nebeneinanderbestehen beider Syteme würde ich "poenale Dichotomie" des Strafrechts nennen.

Um die Zahl der Straftaten und die Kosten der Strafvollstreckung zugunsten einer "besseren" Gesellschaft zu senken- was spricht dagegen, es einmal so zu versuchen?